Erinnerungsort an die Opfer der Homosexuellenverfolgung
Obertorstraße, Faßstraße: Hier wird der Erinnerungsort entstehen - LHS
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Der Stadtrat der Landeshauptstadt Saarbrücken hat im Juni 2019 den Beschluss gefasst, im Stadtgebiet einen Ort der Erinnerung an die Opfer der Homosexuellenverfolgung zu errichten. Dadurch möchte die Landeshauptstadt Saarbrücken ein deutliches und andauerndes Zeichen gegen Ausgrenzung und für Akzeptanz gegenüber Lesben und Schwulen setzen.
Zeichen für eine Gesellschaft der Vielfalt und Offenheit
Geschichte der Verfolgung
Zu keinem Zeitpunkt der Verfolgung konnte aufgezeigt werden, welches Rechtsgut durch freiwillige sexuelle Beziehungen zwischen mündigen gleichgeschlechtlichen Partnern verletzt werden sollte. In der modernen Geschichte ist die strafrechtrechtliche Verfolgung von Homosexualität unter diesem Gesichtspunkt wenig nachvollziehbar.
Die Nationalsozialisten charakterisierten Homosexuelle als sozialdemagogisches Schreckensbild mit Hilfe von Begriffen wie "entartet", "Volksschädlinge" oder "Staatsfeinde", in der Absicht, einer "Schwächung der allgemeinen Volkskraft", also der Bevölkerungszahl, vorzubeugen. Im Vergleich maßen sie der "lesbischen Liebe" unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten eine geringere Bedeutung zu.
Seit Beginn der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 waren Homosexuelle einer Zerschlagung ihrer Subkultur durch die Polizeibehörden ausgesetzt. Die Verschärfung des Paragrafen § 175 des Reichstrafgesetzbuches in 1935 leitete die gezielte Verfolgung Homosexueller ein.
Häufig gestützt durch Denunziationen erfasste die Gestapo rund 90.000 Männer, von denen insgesamt rund 50.000 zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, ordnete im Juli 1940 an, „in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner ‚verführt‘ haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis/Zuchthaus in ‚polizeiliche Vorbeugehaft‘ zu nehmen", also in ein KZ einzuweisen.
Homosexuelle konnten dem nur entgehen, indem sie sich kastrieren ließen. Daneben gab es einen Erlass, wonach "widernatürliche Unzucht" mit dem Tode zu bestrafen war.
Geschätzt zwischen 10.000 und 15.000 Männer sind wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslagern gefangen gehalten worden. Dort sahen sie sich im besonderen Maße Schikanen ausgesetzt, wurden den schwersten Arbeitskommandos zugeteilt und waren Opfer medizinischer Experimente sowie tödlicher "Strafmaßnahmen". Ihre Todesrate lag bei 60 Prozent.
Auch später, in der Bundesrepublik Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern, wurden Lesben und Schwule massiv diskriminiert. Eine erste zaghafte Liberalisierung erfolgte in der Bundesrepublik Deutschland ab 1969, gestrichen wurde der Paragraf § 175 erst in 1994.
Aufarbeitung der Geschichte im Saarland
Nach 1935, nach der Rückgliederung des Saargebietes an Hitler-Deutschland, steht die Geschichte der Homosexuellen in dieser Region im Kontext von systematischer Diskriminierung, Verfolgung, Verhaftung und Ermordung.
Die Geschichte der Homosexuellen in der Saar-Region ist bis dato noch nicht aufgearbeitet. Dies gilt sowohl für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Nationalsozialismus, als auch nach 1945. Es deutet sich an, dass die Großstadt Saarbrücken im überschaubaren Saarland mit seiner hohen sozialen Kontrolle Möglichkeiten für homosexuelle Männer eröffnete, unter den Bedingungen der Diskriminierung die sexuelle Orientierung einfacher und geschützter ausleben zu können.
Die Grenzlage des Saarlandes zu Frankreich spielt für die Verfolgungsgeschichte eine besondere Rolle. Einerseits zeigt sich Frankreich als toleranteres Land von seiner Gesetzgebung her, andererseits gab es große regionale Unterschiede zwischen der Metropole Paris und der Provinz. Insbesondere die Nähe zu Paris, auch gut zu erreichen über die Bahnverbindung, könnte hier eine besondere Rolle gespielt haben.
Die Zeit zwischen 1947 bis 1957, die Zeit des autonomen Saarlandes, scheint im Vergleich zu den Verhältnissen im Bundesland Saarland der 1960er Jahre wesentlich restriktiver gewesen zu sein. Die Regierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann orientierte sich besonders an der Wertevorstellung der Katholischen Kirche und einer ausgesprochen konservativen Gesellschaftsvorstellung.
Dies führte zu einer besonders restriktiven Politik gegenüber Homosexuellen. Die nachfolgende Regierung unter Ministerpräsident Franz-Josef Röder im Bundesland Saarland (1959) verfolgte zwar eine ähnliche familien- und gesellschaftspolitische Programmatik wie die Regierung unter Hoffmann, auch sie war stark an katholischen Werten orientiert und gesellschaftlich konservativ, trotzdem scheint ihre im Grundsatz restriktive Politik gegenüber Homosexuellen weniger brutal gewesen zu sein als die der Regierung unter Hoffmann.
Diese Hypothesen, die auf einzelnen Zeitzeugeninterviews und Quellen basieren, werden durch ein aktuelles Forschungsprojekt zur geschichtlichen Aufarbeitung überprüft. Die Berücksichtigung weiblicher Betroffener in dieser Studie markiert eine Selbstverständlichkeit.
Erste Ergebnisse zeigen, Frauen waren zwar nicht von der diskriminierenden Gesetzgebung betroffen, dennoch mussten sie ihre Sexualität verbergen und in unglückliche Eheverbindungen eintreten. Daher ist über das Leiden der homosexuellen Frauen weit weniger bekannt als über die Situation der homosexuellen Männer.
Um mit der Aufarbeitung der Verfolgung der Homosexuellen im Saargebiet eine wichtige historische Lücke zu schließen, hat die Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland das Thema „Umgang mit Homosexualität in der NS-Zeit und danach“ zu ihrem Jahresthema 2022 gemacht. Ziel des Forschungsprojektes ist, die Lebenssituation von Homosexuellen im Zeitraum zwischen 1935 und 1994 zu untersuchen.
Angestoßen wurde die Aufarbeitung der homosexuellen Diskriminierungsgeschichte in Saarbrücken und im Saarland durch das Stadtarchiv der Landeshauptstadt Saarbrücken, das in 2018 Vorträge und Workshops zu diesem Thema anbot und wichtige Akteure im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Homosexualitäten“ zusammenführte.
In Zusammenarbeit der Landeszentrale für politische Bildung (LpB), des Landesinstituts für Pädagogik und Medien (LPM) und dessen Leiter Burkhard Jellonnek, der auch Mitglied der vom Stadtarchiv der Landeshauptstadt Saarbrücken gegründeten „Arbeitsgemeinschaft Homosexualitäten“ war, konnte das Forschungsprojekt realisiert werden.
Finanziert wird es durch den Saarländischen Landtag und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner im Forschungsprojekt sind Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft Homosexualitäten“, dies sind neben dem Stadtarchiv und dem LPM der Lesben- und Schwulenverband Saar (LSVD Saar), die FrauenGenderBibliothek Saar sowie Privatpersonen.
Insgesamt stehen 115.000 Euro an Fördermitteln zur Durchführung der Studie zur Verfügung. Davon stammen 80.000 Euro aus den Forschungsmitteln des Saarlandes, die restlichen 35.000 Euro wurden durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin beigetragen.
Die mit der Aufarbeitung beauftragten beiden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Frau Dr. Kirsten Plötz und Herr Dr. Frédéric Stroh, haben in einem Gesprächsabend am 11.10.2022 erste Forschungsergebnisse vorgestellt.
Die bis zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich erforschten Opfer umfassen 416 Menschen während der NS-Zeit plus 120 Opfer in der Nachkriegszeit. Eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in Form einer Publikation ist für das Jahr 2023 geplant.